Die forensische Gesichtserkennung anhand von Lichtbildern
Beschreibung
Kann Amazons Rekognition (AWS) die Identifizierungssicherheit erhöhen?
Zusammenfassung
Die Gesichtsidentifikation anhand von Lichtbildern ist ein forensisches Spezialgebiet, das von Sachverständigen vor allem aus den Bereichen Anthropologie, Biologie, Kriminalwissenschaften und Rechtsmedizin bearbeitet wird. Auch wenn die Befähigung, menschliche Gesichter bekannter Personen wiederzuerkennen, eine nicht nur der Spezies Homo sapiens angeborene Fähigkeit ist, so unterscheidet sich die Gesichtserkennung fremder Personen hiervon kognitiv in signifikanter Weise. Erfolgt dieser Identifizierungsvorgang anhand von Lichtbildvorlagen, entstehen Herausforderungen insbesondere dann, wenn artefaktbehaftetes und qualitativ beschränktes Bildmaterial zur Verfügung gestellt wird. Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit der dabei zu berücksichtigenden Einflussfaktoren könnte die Nutzung künstlicher Intelligenz als komplementäres Arbeitsmittel einen Lösungsansatz darstellen, sichere Entscheidungen zu treffen. Neben einer überzeugenden Performance künstlicher Analysesysteme müssen vor allem datenschutzrechtliche Bedenken durch technische Vorkehrungen ausgeräumt werden. Die vorliegende Arbeit untersuchte in 4 verschiedenen Konstellationen die Trefferraten (richtig positive Identifizierungen) von Experten und Laien in Bildvergleichen anhand von Bildtafeln und Vergleichsbildern und verglich diese Leistungen mit Trefferraten beim Einsatz der künstlichen Intelligenz unter Verwendung des von Amazon bereitgestellten Service Rekognition (AWS). In hochsignifikanter Weise zeigte die künstliche Intelligenz höhere Trefferraten als der Mensch. Erwartungsgemäß schnitten Experten besser ab als Laien, aber auch sie konnten nicht annähernd so sicher entscheiden wie die künstliche Intelligenz. Zu den wichtigsten Beobachtungen dieser Studie gehörte der Befund, dass Amazon Rekognition (AWS) rasant dazulernte. Angesichts der hohen Quoten richtig positiver Identitätsentscheidungen und quasi fehlender Falschzuweisungen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz sollte ein Verzicht auf diese Technologie aus unserer Sicht eigentlich keine Option sein. Vielmehr sollte in Anlehnung an den jüngst publizierten „A.I.-Act“ der Europäischen Kommission zeitnah eine offene Diskussion darüber geführt werden, wie diese Technologie unter Wahrung der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte als ergänzende Methode im Rahmen forensischer Begutachtungen zielführend und zum Nutzen der Gesellschaft verwendet werden kann. Hierzu wird die Forderung zählen, dass auch die Tech-Unternehmen ihren Beitrag leisten und z. B. Datenquellen, die dem verwendeten Algorithmus zugrunde liegen, offenlegen. Nicht zuletzt aufgrund erforderlicher Verantwortlichkeiten ist zum jetzigen Zeitpunkt andererseits nicht erkennbar, dass in absehbaren Zeitspannen auf den Menschen als Experten verzichtet werden kann.
Schlüsselwörter: Identifikation – Künstliche Intelligenz – Fotografie – Tatbild – Vergleichsbild
Summary
Facial identification on the basis of photographs is a forensic specialty that is dealt with by experts primarily from the fields of anthropology, biology, forensic science, and forensic medicine. Even though the ability to recognize the faces of people we know is not only an innate ability of the Homo sapiens species, facial recognition of strangers differs from this cognitively in a significant way. If this identification process is carried out on the basis of photographs, challenges arise in particular when artifact-laden and qualitatively limited image material is made available. Due to the complexity and multi-layered nature of the influencing factors to be taken into account, the use of artificial intelligence as a complementary tool could represent a solution for making reliable decisions. In addition to the convincing performance of artificial analysis systems, data protection concerns in particular must be dispelled through technical precautions. This study investigated the hit rates (correct positive identifications) of experts and laypersons in 4 different constellations in image comparisons using image panels and comparison images and compared these performances with hit rates when using artificial intelligence using the “Recognition” service provided by Amazon AWS. In a highly significant way, artificial intelligence showed higher hit rates than humans. As expected, experts performed better than non-experts, but even they could not make decisions nearly as reliably as artificial intelligence. One of the most important observations of this studywas the finding that Recognition learned rapidly. In view of the high rates of correct positive identity decisions and the virtual absence of incorrect assignments through the use of artificial intelligence, we believe that an exclusion of this technology should not really be an option. Rather, in line with the European Commission’s recently published “A.I. Act”, there should be a timely and open discussion on how this technology can be used as a complementary method in forensic assessments in a targeted manner and for the benefit of society, while respecting personal rights and civil liberties. This will include the demand that tech companies also make their contribution and, for example, disclose the data sources on which the algorithm used is based. On the other hand, not least due to necessary responsibilities for the given statements, it is currently not clear that it will be possible to dispense with humans as experts in the foreseeable future.
Key words: Identity – artificial intelligence – Picture – Evidence photo – Comparison image
Einzelartikel aus:
Archiv für Kriminologie Band 254
Heft 1 und 2, Juli/August 2024
Verfasst von:
Frank Ramsthaler, Jan M. Federspiel, Wolfgang Huckenbeck, Matthias Kettner, Constantin Lux, Marcel A. Verhoff
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