Nulla poena sine culpa?
Beschreibung
Freigesprochen und über 11.000 Tage untergebracht. - Eine interdisziplinäre Betrachtung des Falles Dirk K. - Teil 2
Einzelartikel aus:
Archiv für Kriminologie Band 254
Heft 5 und 6, Nov./Dez. 2024
Verfasst von:
Silvia Gubi-Kelm, Christian Bitzigeio, Jana Thomas
Zusammenfassung
Der Fall Dirk K. ist nicht nur deshalb außergewöhnlich, weil ein Mann aufgrund eines falschen Geständnisses über 30 Jahre im Maßregelvollzug untergebracht war, sondern auch, weil womöglich an weiteren Stellen Fehler gemacht wurden. In einem ersten Artikel wurde sich der Problematik falscher Geständnisse zugewandt. Der vorliegende Artikel thematisiert die sachgerechte Beurteilung der Schuldfähigkeit. Es hat sich dabei gezeigt, wie wichtig eine sorgfältige Diagnostik ist, um zu einer korrekten Einordnung der Psychopathologie zu gelangen. Nicht jede klinisch relevante Störung ist forensisch relevant. Um ein Eingangsmerkmal nach § 20 StGB annehmen zu können, müssen die diagnostizierten Störungen eine gewisse Schwere haben. Diese Schwerebeurteilung muss im Gutachten gewissenhaft und kritisch erfolgen. Besondere Bedeutung hat anschließend die Zweistufigkeit der Schuldfähigkeitsbegutachtung, denn nicht jede ausreichend schwere Störung führt zu Einschränkungen der Schuldfähigkeit. Mit kritischem Blick muss auf Verhaltenseinschränkungen im Tatgeschehen geschaut werden. Dabei ist heute die Ansicht verbreitet, dass die Verhaltensmöglichkeiten bei Intelligenzminderung, paraphilen Störungen und Persönlichkeitsstörungen nicht per se erheblich eingeschränkt sind.
Schlüsselwörter: Gerichtsurteile – Schuldfähigkeitsgutachten – Maßregelvollzug – Gefährlichkeitsprognose – Qualitätssicherung
Summary
The case of Dirk K. is not only unusual because a man was held in a penal institution for over 30 years due to a false confession, but also because mistakes may have been made in other areas. The first article dealt with the problem of false confessions. This article focus on the proper assessment of culpability. It showed how important careful diagnosis is in order to arrive at a correct classification of psychopathology. However, not every clinically relevant disorder is #31911_ArchKrim 254, 5+6.indb 175 29.11.24 09:11 176 GUBI-KELM, BITZIGEIO, THOMAS forensically relevant. The diagnosed disorders must be of a certain severity in order to be accepted as an entry criterion under Section 20 StGB. This assessment of severity must be carried out conscientiously and critically in the expert opinion. The two-stage nature of the assessment of culpability is then particularly important, as not every sufficiently severe disorder also leads to restrictions in culpability. A critical eye must be kept on behavioral limitations in the course of the crime. Today, it is widely believed that the behavioral possibilities in cases of intellectual disability, paraphilic disorders and personality disorders are not significantly restricted per se.
Key words: Juridical verdicts – criminal responsibility assessment – forensic – risk assessment reports – quality assurance
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